@ichbinsophiescholl – Was beeinflusst unser Gedenken?

Mit dem Projekt @ichbinsophiescholl sorgen SWR und BR aktuell für Begeisterung.

Pünktlich zum 100. Geburtstag der intellektuellen Widerstandskämpferin stampften die beiden Rundfunkanstalten ein innovatives Multimedia Gedenkkonzept aus dem Boden, welches es in Deutschland in dieser Form noch nicht gab. Mehrere hunderttausend Abonnenten, Likes und Kommentare sind die Folge.

Allerdings, ganz frei von Kritik kommt das Projekt nicht weg. Woher die Kritik stammt, warum sie in anderer Form auch angebracht wäre und warum der Nationalsozialismus bis heute nicht endgültig verarbeitet werden konnte, sind bis heute Fragen, die unsere Gesellschaft begleiten.

Die „Weiße Rose“ ist der Mehrheit ein Begriff. Die Gruppe um die Geschwister Hans und Sophie Scholl, welche bis heute die prominenten Mitglieder dieser Gruppe darstellen, schrieb Geschichte, indem sie, als eine der wenigsten bürgerlichen Gruppen, offenen Widerstand gegen das NS-Regime forderten. Die Gruppe, im Kern vor allem bestehend aus Studentinnen und Studenten aus München, nutzte Flugblätter als Mittel der Wahl, um Kommilitoninnen und Kommilitonen zum Widerstand gegen die NS-Diktatur aufzufordern. Über die LMU in München hinweg verbreiteten sich Botschaft und Forderung der Gruppe auch in weitere Universitätsstädte, sodass die NSDAP sich gezwungen sah, mithilfe der Gestapo, der repressiven Polizeimacht Deutschlands aus jener Zeit, das weitere Treiben der Gruppe zu unterbinden.

1943, mittlerweile befindet sich Deutschland im fünften Kriegsjahr, werden die beiden Geschwister beim Verteilen der Flugblätter von Jakob Schmid, einem Angestellten der LMU erwischt und denunziert.

Der NS-Staat zeigt sich skrupellos, lässt den Vorsitzenden des „Volksgerichtshofes“ – den „Blutrichter“ Roland Freisler – einfliegen und verurteilt Hans und Sophie Scholl, zusammen mit Christoph Probst, wegen Vorbereitung des Hochverrats zum Tode. Das Urteil wird am 22. Februar 1943 verkündet, am selben Tag wird es auch vollstreckt. Sophie Scholl ist zu diesem Zeitpunkt 21 , Probst 23 , Hans Scholl 24 Jahre alt.

Aufgrund dieser Umstände lässt sich erahnen: Der „Weißen Rose“ und Sophie Scholl wird zurecht in diesem Ausmaß gedacht. Und so beschlossen SWR und BR, mithilfe eines eigens angelegten Instagram Accounts unter dem Namen @ichbinsophiescholl, ein innovatives Gedenkprojekt zu starten, welches es so in Deutschland noch nicht gab.

In Deutschland ? Ja, in Deutschland, in Israel nämlich wurde bereits mit dem Account @eva.stories ein Vorbild für das Projekt des SWR und BR gestellt, welches die grausame Geschichte eines jüdischen Mädchens der NS-Zeit auf den Weg nach Ausschwitz ganz ähnlich darstellte. Dies ist lediglich eine Feststellung und für mich nicht unbedingt ein Kritikpunkt. Innovationen werden immer gerne übernommen, solange sie funktionieren ist dies auch soweit kein Problem.

Soweit die Umstände zur Thematik, soweit scheint die ganze Geschichte eigentlich eine einzige Erfolgsgeschichte zu sein.

Weshalb aber regt sich nun Kritik?
Aus mehreren Lagern wird nicht erst seit gestern Kritik an der Heldenvehrerung Sophie Scholls geübt, sie besteht schon länger. Allerdings, vor allem um Missverständnissen aus dem Weg zu gehen, wird im Folgenden versucht, die Kritik an einem weiteren Beispiel einer Widerstandskämpferin zu skizzieren.

Liselotte Hermann wurde 1909 in Berlin geboren, sie war Kommunistin und Mitglied der KPD, der Kommunistischen Partei Deutschlands. Als Studentin in Berlin und der TH in Stuttgart, engagierte auch sie sich im Widerstand, indem sie geheime Aufrüstungsprojekte des Militärs in den Jahren ab 1933 an die Schweizer KPD weitergab. Diese nämlich, verstießen gegen die Vorgaben des, von den Deutschen verhassten, Versailler Vertrags nach dem ersten Weltkrieg. Dieser untersagte dem Deutschen Reich eine erneute Aufrüstung über ein bestimmtes Maximalmaß.
Lilo Hermann wurde 1935 in Stuttgart verhaftet, 19 Monate in Untersuchungshaft festgesetzt und 1938, also vor Beginn des Krieges, durch den „Volksgerichtshof“ zum Tode verurteilt.

Im Gegensatz zu Sophie Scholl stellt Lilo Hermann nicht die religiöse, liberale und scheinbar einwandfreie „Republikanerin“ dar, sie war Kommunistin und aus diesem Grund war ihr Andenken in der Nachkriegszeit sehr lange, teilweise bis heute äußerst umstritten. Lilo Hermann sei schlicht kein Vorbild für die Studentenschaft, ein Andenken in weiterer Form sei unangemessen, hieß so in den ersten Jahrzehnten nach Kriegsende von offiziellen Stellen der Stadt Stuttgart.

Wie passt das nun zusammen? Wie kann es sein, dass einer Person, absolut gerechtfertigte Ehren zu teil werden, während andere Personen diese Ehrerbietung nicht erhalten?

An diesem Punkt nun entzündet sich die Debatte. Einige sehen dies als Widerspruch. Das Gedenken sei heuchlerisch, es werde ein „konformes“ Andenken kreiert. Ein Andenken an Widerstandskämpfer aus Lagern jenseits des Bürgertums werde ignoriert und sei auch nicht erwünscht. Vor allem da das Bürgertum im Allgemeinen niemals Widerstand geleistet habe, mache dies aus Sicht der Kritiker absolut keinen Sinn und sei lediglich „Selbstbeweihräucherung“.

Wichtig: Die Kritik kommt meist nicht aus der Mitte der Gesellschaft. Diese Erkenntnis ist insofern wichtig, als dass sie die Argumentation, dass eine konforme, bürgerliche Widerstandsikone gebildet werden soll, vermeintlich unterstützt. Es lässt sich zudem nicht abstreiten, dass Sophie Scholl, auch im Gegensatz zu den weiteren Mitgliedern der „Weißen Rose“, eine Sonderstellung einnimmt. Ihr Andenken ist mittlerweile riesig, wenn auch, wie bereits erwähnt, dies absolut zurecht der Fall ist.

Warum aber ist Sophie Scholl heute soviel greifbarer und verehrter, als es eben Lilo Hermann jemals war und sein konnte?

Um diese Frage zu klären, muss erneut eine Zeitreise angetreten werden, erneut in das Jahr von Sophie Scholls Tod, erneut in das Jahr 1943.
Das Deutsche Reich steht nach der Schlacht um Stalingrad vor der Niederlage, auch wenn dies öffentlich niemand zugeben möchte und zugeben darf. Am Tag der Verhaftung Probsts und der Scholl-Geschwister, hält Reichspropagandaminister Joseph Goebbels im Berliner Sportpalast, unmittelbar nach der Niederlage in Stalingrad, seine wohl berühmteste Rede.
Es ist der 18.02.1943 und Goebbels stimmt Deutschland auf den „Totalen Krieg“ ein.

Diese Rede reiht sich ein in das Heraufbeschwören einer Schicksalsgemeinschaft zwischen Bevölkerung und Staat. Denn, entgegen der Schutzbehauptungen nach dem Krieg, wissen die allermeisten Deutschen Bescheid von den unglaublichen Taten der Partei und des Militärs. Den Menschen wird von der Partei vorgehalten, dass es nun kein Zurück mehr gäbe, die Brücken zum Frieden mit dem Rest der Welt abgebrochen seien und man diese Phase nun zusammen durchstehen müsse – notfalls, indem man gemeinsam untergehe.

Die Deutschen gingen mit der Partei folglich gemeinsam unter. Bis zum 8. Mai 1945, dem Tag der Befreiung, welcher jedoch im Gegensatz zu heute, viel eher als Tag der Niederlage angesehen wurde, unterstütze die Masse der Deutschen das Regime – bis zum Ende.

Menschen wie Sophie Scholl, Graf Staufenberg, Lilo Hermann und die allermeisten der – aufgrund vollkommen lächerlicher und unglaublicher Gründe – über 5.000 ermordeten Menschen, galten für sehr viele Menschen in Deutschland als Verräterinnen und Verräter. Außerdem sind 99% der ermordeten Menschen den Menschen im heutigen Deutschland kein Begriff. Auch dies ist ein weiterer Aspekt, der zu kritisieren wäre. Er allein jedoch, erklärt noch immer nicht die verschiedene Gewichtung in der kollektiven Erinnerung an jene Zeit.

Im nächsten Artikel wird weiter ausgeführt wie die Auswahl des Gedenkens in der unmittelbaren Nachkriegszeit beeinflusst wurde, weshalb die Entnazifizierung eine große Rolle spielte und wie man unser Gedenken an die Menschen jener Zeit verbessern könnte.

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