
Teil 1: Die Vorgeschichte eines sportpolitischen Desasters.
Wie vieles bleiben sie uns auf den ersten Blick verborgen, die Einflüsse, die längst vergangene Geschehnisse auf unser heutiges Leben haben.
Heute beginnt ein Rückblick darauf, weshalb Sportveranstaltungen bis heute eine enorme Anziehungskraft auf Diktaturen und Propagandamaschinen haben.
Ein möglicher Ursprung: Die Olympischen Spiele 1936.
Eine Krisenwelt – die politische Situation um 1936
„Ein Regime, das sich stützt auf Zwangsarbeit und Massenversklavung, ein Regime, das den Krieg vorbereitet und nur durch verlogene Propaganda existiert — wie soll solch ein Regime den friedlichen Sport und freiheitliche Sportler respektieren?“
– Heinrich Mann über die Olympischen Spiele 1936
Als das Deutsche Reich Anfang der 30er Jahre die Olympischen Spiele nach Berlin holen konnte, waren die Boykottgespräche, der institutionelle Antisemitismus und die Propaganda der 1936er Spiele noch sehr weit entfernt. Berlin, die deutsche Reichshauptstadt erhielt den Zuschlag aufgrund der Tatsache mangelnder Gegenbewerber und zudem, da die Spiele 1916, welche im kaiserlichen Berlin abgehalten werden sollten, aufgrund des Ersten Weltkriegs abgesagt wurden.
Doch 1931, als die Spiele dann nach Berlin vergeben wurden, war für aufmerksame Beobachter bereits abzusehen, dass die Weimarer Republik in ihrer Verfassung, nicht lange weiterbestehen wird. Die Bildung zweier Fronten, der Harzburger Front auf der rechten Seite, sowie der Eisernen Front auf der linken Seite, führen das Land an den Rand bürgerkriegsähnlicher Zustände, die Weltwirtschaftskrise ist längst nicht überwunden und der Hass auf Minderheiten wird weiter geschürt.
Hinzu kommt zu jener Zeit eine Parallele zu einem aktuellen Thema: Die Folgen der Influenzapandemie H1N1, auch fälschlicherweise bekannt als „Spanische Grippe“ führten laut neuesten Studien auch dazu, dass in den besonders betroffenen Städten Sozialausgaben zurückgingen und Menschen weniger Unterstützung erhielten. In Städten, in denen der Antisemitismus tiefer verankert war, wurden jüdische Mitmenschen bereits für die Pandemie verantwortlich gemacht, so wurden diese Hassansichten durch die folgende Weltwirtschaftskrise nochmals verstärkt.
Diese Aspekte gingen in den Wirren des Ersten Weltkriegs zunächst unter, sollten 1933 jedoch auch wieder aufflammen und so zum Wahlerfolg der NSDAP beitragen.
Bis heute sind sich Historiker nicht einig, wie stark das Deutsche Reich von der Pandemie 1918/1919 wirklich betroffen war. Aufgrund der Zensur im Ersten Weltkrieg wurde die Pandemie großflächig ignoriert und somit vielerorts erst gar keine Zahlen aufgenommen. Mittlerweile geht man davon aus, dass das Deutsche Reich stärker von der Pandemie getroffen wurde, als bislang vermutet.
Mit der Machtergreifung Adolf Hitlers 1933 und der damit einhergehenden eugenisch-rassistischen Politik des deutschen Staats, wurden als direkte Folge 1935 die Nürnberger Rassengesetze verabschiedet. Minderheiten wurden spätestens ab diesem Zeitpunkt gesetzlich-staatlich verfolgt.
Inmitten dieser Zeit sollen Olympische Spiele stattfinden, inmitten dieser Zeit findet die Politik erstmals in der Weltöffentlichkeit ihren Weg in den Sport.
Die Mittel anderer Staaten gegen die Olympischen Spiele 1936 vorzugehen waren limitiert, am beliebtesten war ein Mittel, welches auch heute noch präsent ist: Der Boykott.
Was bedeutet ein Boykott? Ein Boykott hat zur Folge, dass eine Nation als Team auf die Spiele verzichtet, oder dass einzelne Sportlerinnen und Sportler verzichten, ein Boykott kann als Imageverlust der gastgebenden Nation funktionieren, ein Boykott ist jedoch vor allem oft als Drohung im Gespräch und wird äußerst selten durchgeführt.
Als Nationen diskutierten sehr viele Staaten einen Boykott, die antisemitische Haltung des Deutschen Reichs war den Staaten bekannt, es ist also keinesfalls so, dass die rassistische Politik des Nationalsozialismus den außenstehenden Staaten unbekannt gewesen wäre.
Die Sowjetunion, angemerkt sei hier, dass sie zu dieser Zeit insgesamt abgeschottet war, erklärte als einzige Nation einen Gesamtboykott. Die Spanische Republik sagte ab, da General Franco im Begriff war dort einen, bis in die 70er Jahre präsenten, faschistischen Staat zu begründen. Großbritannien, immer noch wie Frankreich kriegsmüde, hatte auch aufgrund seiner Appeasement Politik kein Interesse an einem Boykott der Spiele.
Appeasement Politik: Versuch, der britischen Regierung, mit der NSDAP als Regierung Deutschlands zurechtzukommen und durch Zugeständnisse an diese eine Eskalation der Lage zu verhindern.
Das Internationale Olympische Komitee diskutierte tatsächlich eine Verlegung, ließ sich jedoch mit einer schriftlichen Versicherung der Rassengleichheit währende der Spiele, von Seiten der NSDAP, abspeisen.
Die Rolle der Vereinigten Staaten
In der Nachbetrachtung dieser Situation werden oft die Vereinigten Staaten als der Staat angegeben, der mit seiner Teilnahme, dem Nationalsozialismus den größten Propagandaschub gegeben hat. Schauen wir uns also die Situation der USA im Jahr 1936 einmal genauer an.
Die Vereinigten Staaten des Jahres 1936 sind ein Staat, welcher von der Weltwirtschaftskrise zutiefst gebeutelt ist, zudem sind sie nach wie vor ebenfalls ein eugenisch-rassistisch geprägter Staat. In den Südstaaten war es so „afroamerikanischen“ Menschen weiterhin nicht erlaubt, gegen „kaukasische“, also „weiße“, Menschen in Sportwettkämpfen anzutreten, dieser Grund führte Jesse Owens beispielsweise auch in seiner Collegezeit in die nördlichen Staaten der USA, wo diese Gesetze nicht existierten. Es ist also keine Übertreibung, anzumerken, dass die USA knapp 70 Jahre nach dem Bürgerkrieg nur wenige Fortschritte, hinsichtlich einer wahren Emanzipation, gemacht hatten.
Eugenisch-Rassistisch: Die Eugenik ist eine Pseudowissenschaft, welche für sich beansprucht, Menschen, ähnlich wie Tiere innerhalb Ihrer Spezies, in Rassen einteilen, und verschiedene Eigenschaften für jede Rasse ausmachen zu können. Verschiedene Rassen wurden in Wertigkeiten eingeteilt, in aller Regel wurde die „eigene Rasse“ als dominant dargestellt, während andere Rassen als weniger Wert angesehen wurden. Dieses Phänomen tritt gegen Ende des 19., anfangs des 20. Jahrhunderts weltweit auf. Aufgrund der genetischen Abhängigkeit und Mischung aller Menschen weltweit macht diese Ansicht und Behauptung wissenschaftlich gesehen keinerlei Sinn und entbehrt jeglicher Grundlage. Für die meisten führenden Staaten des 19. Und 20. Jahrhunderts jedoch bildete diese Pseudowissenschaft die Grundlage, ihren Kolonialismus und Imperialismus zu festigen, rassistische Gesetze wurden nach Vorstellungen der Eugenik begründet und verabschiedet.
Die Boykottbewegung nahm in den USA vor allem außerhalb der Funktionäre Fahrt auf, welche sich schließlich gezwungen sahen, eine Abstimmung bezüglich eines Boykotts durchzuführen. Die Abstimmung gewannen die Befürworter einer Teilnahme denkbar knapp mit 58-56, die Mittel der Wahl waren dabei äußerst fraglich. Avery Brundage, einer wichtigsten Funktionäre des Vorgängers des nationalen olympischen Komitees der USA, war ein brennender Befürworter einer Teilnahme und fand Mittel und Wege, um eine Amerikanische Teilnahme sicherzustellen. Es war zudem ein offenes Geheimnis, dass Brundage antisemitisch und rassistisch war. Ihm reichte 1936 eine Reise in das Deutsche Reich aus, um sich von der, nicht gegebenen, minimal Toleranz gegenüber der jüdischen Bevölkerung Deutschlands zu überzeugen. Vor dem Kriegseintritt der USA engagierte sich Brundage in der Bewegung „America First“, welche einen Kriegseintritt gegen das Deutsch Reich und Japan strikt ablehnte. Diese Haltung gab er erst nach den Angriffen auf Pearl Harbor auf. Nach dem Krieg wurde Brundage zudem 1952 Präsident des IOC, er behielt diesen Posten bis nach den Olympischen Spielen von München 1972. Nach den Morden an mehreren israelischen Sportlern durch palästinensische Terroristen, prägte er den Spruch, „The games must go on.“. Bis zu seinem Lebensabend prägten ihn die Spiele von 1936, für welche er große Begeisterung empfand. Ironischerweise verstarb Brundage schließlich 1975 in Garmisch-Partenkirchen, dem Veranstaltungsort der Olympischen Winterspiele 1936, der von den Nationalsozialisten überhaupt erst zu diesem Anlass, in seiner heutigen Form zu einem Ort gemacht wurde.
Schließlich nahmen die USA an den Olympischen Spielen 1936 mit 310 Athletinnen und Athleten, damit mit dem zweitgrößten Team der Spiele, teil.
Was lange Zeit unbeachtet blieb: jüdische Sportlerinnen und Sportler des US-Team wurden bei Teamwettbewerben vor den Finalwettkämpfen teilweise durch nichtjüdische Menschen ausgetauscht, damit die USA eine entsprechend, „vorzeigbare“ Mannschaft aufweisen konnten.
Die Olympischen Sommerspiele 1936 fanden also wie geplant statt, dass obwohl die Sportwelt bereits bei den Winterspielen in Garmisch-Partenkirchen zu Jahresbeginn bemerken hätte müssen, auf welche tölpelhafte Weise der Rassismus im Deutschen Reich versteckt wurde. Der „Stürmer“ wurde beispielsweise für eine gewisse Zeit nicht publiziert und antijüdische Plakate und Schilder wurden entfernt.
Besonders widerwärtig ist die Tatsache, dass die Nationalsozialisten 1936 unweit von den Austragungsorten der Spiele, bereits mit den Bauarbeiten zu den Konzentrationslagern begonnen hatten. All dies jedoch wurde während des „Sportfestes“ ignoriert. Im September 1936 wurden die ersten Menschen in Sachsenhausen unmenschlich untergebracht, der Weg zum industriellen Massenmord war somit geebnet.
Ob es, wie im Falle der USA, der eigene, schwelende Rassismus oder, wie im Falle der Europäischen Staaten, Angst vor dem neuen, wiedererstarkten, rassistischen und aggressiven Deutschland war: die Vorgeschichte der Olympischen Spiele 1936 kann sicherlich als Vorgeschichte der propagandistischen Politisierung sportlicher Großveranstaltungen gesehen werden. Bis heute sind sie teilweise ein Vorbild für Sportveranstaltungen durch Diktaturen und autoritäre Staaten.
Ausblick: Jesse Owens vierfacher Goldmedaillengewinn – Die Rolle der Sportlerinnen und Sportler 1936:
Inmitten dieser Situation gewinnt der Afroamerikaner Jesse Owens vier Goldmedaillen in Berlin, wird zur Legende und – vor allem in Deutschland – zu einer Art Beschwichtigungsmythos, der bis heute oftmals erzählt wird. (Erscheint bald)